Familiengeschichten

In dieser Schule sind die beiden unten aufgeführten Geschichten passiert.





Nordflügel der Giordano-Bruno-Gesamtschule Helmstedt (von 1915-1945 ehemalige Mädchen-Volksschule)



Foto, privat

Henning Funke-Bruns


Geschichte ist in der Schule häufig ein Schulfach, dass nur wenige Schülerinnen und Schüler „vom Hocker reißt“. Dabei kann Geschichte spannend sein, wenn man auf "Spurensuche" geht und in Familiengeschichten Spuren der Geschichte entdeckt.

Es sind vor allem Familiengeschichten, die häufig von Generation zu Generation weitererzählt werden und einen geschichtlichen Hintergrund haben. In den Erzählungen zeigen sich geschichtliche Ereignisse verwoben mit  Erlebnissen naher Verwandter. Häufig ist dabei gar nicht klar, dass es Erlebnisse sind, die gerade deshalb interessant sind, weil sie sich auf einen ganz bestimmten historischen Hintergrund beziehen.


Hier sind nun zwei Geschichten, die innerhalb meiner Familie weitererzählt worden sind.

 

Das geschenkte Pausenbrot

Meine Mutter berichtete häufig über ein Erlebnis während ihrer Schulzeit (im Winter 1916/17): Es herrschte Hunger und sie litt darunter. Eines Tages fand sie unter ihrer Schulbank ein belegtes Brot. Dieses hatte ihr Lehrer Herr Giere (aus Braunschweig) ihr aus Mitleid zugesteckt. Meine Mutter war nur 1,58 m groß. Wahrscheinlich war sie auch als Kind sehr klein und zart und natürlich vom Hunger gekennzeichnet. Dieses Erlebnis praktischer Nächstenliebe und Mitleids hat meine Mutter ihr Leben lang nicht vergessen.

Der Hintergrund dieser Hungersnot wurde im Sommer dieses Jahres in einem Radiobeitrag die sogenannte „Professorenschlachtung“ (auch „Schweinemord“ genannt) thematisiert. Durch Fehlplanungen im Anbau von Futtermitteln kam es 1915 zu Massenschlachtungen von Schweinen. In der Folge wurden auch im folgenden Jahr die Kartoffeln, ein Grundnahrungsmittel damals und jetzt, knapp. Steckrüben wurden als Ersatznahrung für die Bevölkerung zur Verfügung gestellt, aber sie konnte den Bedarf an Lebensmittel nicht decken. Hungersnot in Deutschland war die Folge: Etwa 800 000 Menschen starben in Deutschland den Hungertod. Meine Mutter ist diesem Schicksal wahrscheinlich mit viel Glück entronnen.

 

„…Ausspeien sollt Ihr!“

Die 1931 geborene A. erzählte ihrem Enkel häufig  ein Erlebnis, das sie während ihrer Grundschulzeit in Helmstedt hatte: Es war wahrscheinlich im November des Jahres 1938, kurz nach der sogenannten „Reichskristallnacht“, wie man die Progromnacht gegen die deutschen Juden 9./10. November 1938  damals verschleiernd nannte.

Es war Unterricht in der 2. Klasse mit Rektor B.. Vielleicht stellten die Mädchen Fragen zu den Plünderungen jüdischer Geschäfte in Helmstedt, vielleicht hat aber auch Rektor B. selbst zu den Ereignissen Stellung genommen. Er ließ sich gegenüber den kleinen Schülerinnen zu der Aussage hinreißen: „…und wenn ihr Juden seht, dann sollt ihr vor ihnen ausspeien…“ (ausspeien ist ein veralteter Ausdruck für ausspucken-vor Abscheu). A. sagte dann voller Scham zu ihrem Enkel: „Stell dir vor, Sascha, ich habe das sogar gemacht.“

 

Dieses unmittelbare Erleben in Familienerzählungen ist eindrucksvoller als so manche Geschichtsstunde in der Schule oder in anderen Bildungseinrichtungen. Geschichtliche Ereignisse werden transparenter, erklärbarer.

 

Vielleicht habt ihr selbst solche Familiengeschichten, die auf Geschichtsereignisse beruhen, zu hören bekommen. Ich glaube, sie sind so interessant, diese auch anderen mitzuteilen. Schreibt sie doch auf (über E-Mail-Kontakt auf der Home-Seite): Hier werden sie veröffentlicht.

Nur Mut!!!